Der künftige Wächter der Meere
Den Meeresspiegel aus einer Höhe von über 1.000 km überwachen. Das ist die Hauptaufgabe des neuen Satelliten "Copernicus Sentinel-6 Michael Freilich", der gestern in die Umlaufbahn gebracht wurde. Dadurch werden die Bedingungen für die Fortsetzung einer mehrjährigen Messreihe geschaffen, die für die Untersuchung des Klimawandels fundamental sind.

Seit gestern, dem 21. November 2020, kreist der Altimetersatellit «Copernicus Sentinel-6 Michael Freilich» um die Erde. Von der Air Force-Basis Vandenberg in Kalifornien aus mit Hilfe der Rakete Falcon 9 der Firma SpaceX gestartet, ist dieser moderne Satellit mit 1440 kg Masse und einem Umfang von circa 5 x 4 x 2 Metern dazu bestimmt, durch die Überwachung der Meeresspiegel mit einer bisher nicht verfügbaren Genauigkeit der neue Wachposten der Meere zu werden.

Der Anstieg des Meeresspiegels ist eine der verheerendsten Folgen des Klimawandels: eine schwerwiegende Bedrohung für das Leben von Millionen von Menschen, die an den Küsten leben und für die Ökosysteme der Küsten. Es ist von entscheidender Bedeutung, das Fortschreiten des Klimawandels genau zu messen, um unsere Kenntnis der Wechselwirkungen zwischen den Ozeanen und der Atmosphäre zu verbessern, und - letztendlich - um die richtigen politischen Massnahmen zur Abschwächung des Klimawandels und sinnvolle Anpassungen in den Küstenregionen anzuwenden. Zurzeit hebt sich der Meeresspiegel mit einer Geschwindigkeit von circa 3 mm/Jahr, mit Tendenz zur Beschleunigung.

Die ersten globalen, von Satelliten gelieferten Daten, stammen aus dem Jahr 1992, als der Satellit TOPEX/Poseidon in Umlauf gebracht wurde. Ab 2001 folgten dann einer nach dem anderen die drei Satelliten der Serie Jason, deren dritter Satellit noch immer aktiv ist. Das In-Umlauf-Bringen des Satelliten Sentinel-6 Michael Freilich, gewährleistet die Kontinuität der Messreihe, damit diese nicht unterbrochen wird. Dieser Satellit wird bald der Referenz-Altimetersatellit für die Überwachung des Meeresspiegels sein. Die Sentinel-6 genannte Mission sieht schon jetzt das In-Umlauf-Bringen eines zweiten Satelliten in ca. 5 Jahren vor, um so die Kontinuität der Messungen des Meeresspiegels bis mindestens 2030 zu gewährleisten.

Der Satellit Sentinel-6 Michael Freilich umkreist die Erde auf einer „niedrigen“ Umlaufbahn in einer Höhe von 1336 km, auf derselben Umlaufbahn mit einer Neigung von 66°, die von den vorhergehenden Missionen zur Höhenmessung verwendet worden ist. Diese Umlaufbahn ermöglicht es, in zehn Tagen (entspricht 127 Erdumkreisungen) 95 % der eisfreien Oberfläche der Ozeane zu überwachen. Die Messung des Meeresspiegels erfolgt durch ein Radar-Altimeter, das einen elektromagnetischen Impuls in Form von Mikrowellen abgibt und die Zeit misst, die dieser benötigt, um zum Satelliten zurückzukehren, nachdem er die Meeresoberfläche berührt hat. Anhand der genauen Kenntnis der Höhe der Umlaufbahn des Satelliten kann man, ausgehend von der zuvor gemessenen Zeit, die Höhe des Meeresspiegels berechnen. Ein Wert von grosser Präzision, keineswegs banal, wenn man bedenkt, dass man Veränderungen von wenigen Millimetern im Jahr hervorheben will, wobei alleine schon Wellen Höhen von mehreren Metern erreichen können.

Die Überwachung des Meeresspiegels wird nicht die einzige Aufgabe des Satelliten Sentinel-6 Michael Freilich sein. Er ist auch mit Instrumenten ausgestattet, um die Radiookkultation der von Satelliten ausgesendeten Signale wie denen des GPS zu messen (eine Technik, die Global Navigation Satellite System Radio Occultation (GNSS-RO) genannt wird). Indem sie das von diesen Satelliten erhaltene Signal überprüft, während sie am Horizont verschwinden, ermöglicht es diese Technik, detaillierte Informationen zum vertikalen Verlauf von Temperatur, Feuchtigkeit und Druck in der Erdatmosphäre zu rekonstruieren. Tatsächlich ist es so, dass das Signal, das von Satelliten wie denen des GPS ausgesendet wird, bei seinem Weg durch die Atmosphäre umgelenkt wird, und diese Umlenkung wird durch die Temperatur, die Feuchtigkeit und den Druck der verschiedenen Schichten der Atmosphäre, die das Signal durchquert, beeinflusst. Diese Daten sind wertvoll für die Initialisierung der numerischen Modelle zur Wettervorhersage, da sie auch Informationen aus Regionen liefern, die nicht von den klassischen Systemen der Radiosonden abgedeckt werden, wie zum Beispiel die Ozeangebiete.
Die Mission Sentinel 6 ist Teil von Copernicus, dem Programm der Erdbeobachtung der Europäischen Union, das der Überwachung unseres Planeten und seiner Umwelt zugunsten aller europäischen Bürger gewidmet ist. Dieses bietet Informationsdienste an, die auf Satellitenbeobachtung der Erde und auf an Messstationen am Boden erhobenen Daten beruhen. Das Programm wird von der europäischen Kommission koordiniert und verwaltet und in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten, der europäischen Weltraumorganisation (ESA), der europäischen Organisation für die Nutzung meteorologischer Satelliten (EUMETSAT), dem europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage (EZMW), den Behörden der EU und Mercator Océan durchgeführt.
Die Mission Copernicus Sentinel 6 ist ein exemplarisches Beispiel, für die internationale Kooperation und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen, jede mit ihren spezifischen Kompetenzen: für Europa die EU, ESA, EUMETSAT und die französische Raumfahrtbehörde (CNES), für die Vereinigten Staaten die NASA und der meteorologische Dienst der Vereinigten Staaten NOAA. Die Schweiz unterstützt diese Missionen als Mitglied von ESA und EUMETSAT indirekt. Auch wenn die Schweiz ein Binnenland ist, sind die von diesen Satelliten gelieferten Meerespiegelmessungen für unser Land wichtig. Der Klimawandel macht nicht vor politischen Grenzen halt. Er hat eine globale Reichweite, und sein Einfluss auf die Ozeane und die Küstenregionen kann sich auch indirekt auf die sozioökonomische Lage unseres Landes auswirken. Es ist in unserem Interesse, den Verlauf des Meeresspiegels zu überwachen und die Kenntnis der Wechselwirkungen zwischen Ozeanen und Atmosphäre zu verbessern.
Der Satellit wurde zu Ehren von Michael Freilich (1954 – 2020), Ozeanograph und ehemaliger Direktor der Abteilung für Geowissenschaften der NASA benannt.
Die Kommentarfunktion wurde für diesen Beitrag deaktiviert.
Zum Kontaktformular
Kommentare (1)
Wie eine solche Genauigkeit erreicht wird, ist mir nicht klar. Neben dem Wellengang gibt es noch Gezeiteneffekte und auch die Satellitenumlaufbahn ist keinesfalls im gewünschten Genauigkeitsbereich; ob die Inhomogenität der Atmosphäre inklusive Temperaturschwankungen noch einen Einfluss haben, weiss ich nicht. Auf alle Fälle zweifle ich an der Signifikanz der Aussage.