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Reisefieber

MeteoSchweiz-Blog | 10. August 2022
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Das Wetter ist heute rasch erzählt: Bisenströmung im Norden, feuchtere Luftmasse im Süden und ein Kaltluft-Tropfen, welcher die Schweiz in der Höhe überquert, sorgt für einzelne Schauer über den Alpen und im Süden. Ansonsten ist diese Woche so wenig in Bewegung, dass wir einen Exkurs nach Kanada machen.

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Die ersten Gepäckstücke sind bereitgelegt: der Wasserfilter, die Hängematte, der Underquilt, das Tarp und die Angelruten. Gespannt schaue ich einem Traum entgegen, der Wahrheit wird: Eine dreiwöchige Reise, auf der wir 350 km auf einem Seitenfluss und auf dem Yukon selbst zurücklegen. Sicherlich wippt auch mein Reisebegleiter und Freund Pedros schon gespannt auf dem Stuhl hin und her oder besorgt gerade noch die letzten Dinge von der Packliste.

Und während wir unseren Liebsten nur noch per Knopfdruck am Search-And-Rescue-Gerät eine vorgeschriebene Nachricht mit unseren aktuellen Koordinaten zukommen lassen können, sind wir der Natur und dem Wetter ausgesetzt. An diesem Punkt stellt sich folgende Frage: wie geht man denn mit dem Wetter um auf solchen Reisen?

Bei dieser Reisedauer und dem Fakt, dass nach Reisebeginn kein Zugriff aufs Internet mehr besteht, teilt sich meine Vorhersage folgendermassen auf:

1. Die Analyse kurz vor Reisebeginn:

An diesem Punkt stehen viele von uns, teils mehrmals im Jahr. Wir verreisen in ein fremdes Land und wollen uns informieren, was das Wetter dort "so macht". In meiner privilegierten Position als Mitarbeiter von MeteoSchweiz kann ich mir natürlich das Globalmodel über den Arbeitslaptop ansehen und einen eigenen Forecast machen am Tag vorher. In ihrer Qualität ist diese Vorhersage jedoch deutlich ungenauer gegenüber jenen, welche wir für die Schweiz erstellen. Lokale Phänomene sind oft unbekannt und charakteristische Modellschwächen kennen wir im Ausland nur begrenzt. Bei einer Kanufahrt auf dem Zürichsee könnten wir zum Beispiel abschätzen, ob die Bise (NE-Wind im Mittelland) im Modell zu stark, zu schwach oder zu steil (von ihrer Richtung abweichend) abgebildet wird. Nichtsdestotrotz gibt es mir als Forecaster einen guten Überblick über die ersten Tage. Ich schaue mir auch noch kurz eine Ensemble-Punktprognose des ECMWF an. Sie gibt mir die Unsicherheit der Prognose bzw. des Modells vor Ort an.

Mehr über die Ensemble-Prognose von MeteoSchweiz lesen Sie hier.

Dann gehe ich auf die Webseite des Nationalen Wetterdienstes (des Ziels).

Dort suche ich mir den Forecast für unsere Destination, also Whitehorse raus. Die Profis der nationalen Wetterdienste wissen meistens sehr gut Bescheid. Sie kennen die Lücken und Tücken im Modell in ihrer Region, senden Warnungen aus und schreiben oft ausführliche Wetterberichte.

Ein TAF (Terminal Area Forcast), eine Punktprognose für einen Flughafen, wie wir es für jene in der Schweiz machen, gibt einen umfassenden Überblick für die nächsten Stunden. Es ist das letzte, was ich mir anschaue, bevor wir den Kanadier einwässern. Das TAF von heute Morgen für Whitehorse gibt folgenden Auskunft:

CYXY 100540Z 1006/1106 14012KT P6SM FEW080 BKN240 FM100800 14005KT P6SM SCT040 BECMG 1010/1012 35005KT BKN040 FM101400 33005KT P6SM -RA OVC030 FM101700 36005KT P6SM -RA SCT008 OVC025 FM102000 34005KT 4SM -RA BR BKN008 OVC015 FM110300 30008KT P6SM BKN015 BECMG 1104/1106 20006KT SCT020

CYXY = ICAO-Kenner für Whitehorse

100540Z die Ausgabezeit, der 10. des Monats, um 05:40 UTC.

1006/1106 gültig vom 10. August um 06 UTC bis 11. August um 06 UTC.

14012KT 10-minütiger Mittelwind aus 140 Grad mit 12 Knoten.

P6SM heisst plus 6 statute miles visibility (eine Sicht über 6 Statute Miles / rund 10 km).

FEW080 BKN240 1-2/8 Bewölkung auf 8000 Fuss, 5-7/8 auf 24'000 Fuss.

FM100800 14005KT P6SM SCT040 Ab dem 10. August um 08:00 UTC ist der Wind aus 140 Grad mit 5 Knoten, mehr als 6 Statute Miles Sicht, und 3-4/8 Bewölkung auf 4000 Fuss.

BECMG 1010/1012 35005KT BKN040 Zwischen 10 und 12 UTC am 10. August dreht der Wind nachhaltig auf 350 Grad mit 5 Knoten, und die Bewölkung auf 4000 Fuss verdichtet sich.

FM101400 33005KT P6SM -RA OVC030 Ab 14 UTC dreht der Wind leicht, auf 330 Grad. Die Sicht bleibt, aber es kommt leichter Regen auf bei einer geschlossenen Wolkendecke auf 3000 Fuss.

FM101700 36005KT P6SM -RA SCT008 OVC025 Ab 17 UTC regnet es weiter, die Bewölkungsuntergrenze sinkt noch etwas ab.

FM102000 34005KT 4SM -RA BR BKN008 OVC015 Ab 20 UTC nimmt die Sicht ab auf etwa 6 km und die Bewölkung hängt über unseren Köpfen auf 800 Fuss / etwas 250 Meter.

FM110300 30008KT P6SM BKN015 Ab dem 11. August um 03 UTC nimmt der Wind etwas zu, der Regen hört auf, die Sicht wird besser, die Wolkenuntergrenze steigt leicht an.

BECMG 1104/1106 20006KT SCT020 Zwischen 04 und 06 UTC bricht die Wolkendecke auf.

Diese TAF werden von Forecastern geschrieben, nachdem sie eine genaue Analyse erstellt haben; somit ist es eine sehr gute Informationsquelle über die ersten 24 Stunden unserer Reise: paddeln wir den ganzen Tag und machen Strecke, oder hängen wir die Hängematten bald auf?

2. Das Nowcasting

Im Vergleich zum Forecast, beschäftigt sich der Nowcast mit der aktuellen Situation und den nächsten Stunden. Wenn wir einmal auf dem Fluss sind, werden wir keinerlei Wetterdaten mehr zur Verfügung haben. So ist der Forecast nach ein paar Tagen veraltet und es gilt den Himmel zu lesen. Wir schauen uns hier die wichtigsten Anzeichen an, welche man deuten kann.

Altocumulus Castellanus und Altocumulus Floccus erkennen:
Die beiden Wolkengattungen fallen jedem Forecaster auf, wenn wir morgens unterwegs zur Arbeit sind. Denn diese sind die klassischen Gewittervorboten. Sie geben Auskunft darüber, dass sich die Atmosphäre in einem instabilen und angefeuchteten Zustand befindet.

Die beiden obenstehenden Wolken kommen oft gleich in Kombination vor, wenn Gewitter in der zweiten Tageshälfte anstehen. Erkennt man sie am Morgenhimmel, so ist auf den nächsten Schritt zu achten.

Einen TCU erkennen und beobachten

Der TCU, Towering Cumulus, in der Fachliteratur als Cumulus Congestus bekannt, ist die Vorstufe des Gewitters. Die ersten Blitzschläge stehen dann meist vor der Haustüre. Diese zu erkennen ist zum Glück sehr einfach und es gibt einen guten Trick ;) : Wenn eine «Schönwetter» - Cumulus-Wolke anwächst und mehr und mehr einem (am Stiel abgeschnittenen) Blumenkohl gleicht, dann haben wir einen TCU.

An dieser Stelle möchte ich auf eine Timelapse von unserem Kollegen A. Giordano verweisen, welcher diese Entwicklung schön festgehalten hat.

Entwicklung eines Cumulus Congestus.

Eine Warmfront erkennen

Eine Warmfront mit andauerndem Landregen wäre genau das, was wir hier in der Schweiz bräuchten: einen richtig regnerischen Tag. Wenn man die Warmfrontbewölkung erkennt, kann man sich also darauf einstellen, mal einen Tag Pause zu machen und zu verweilen. Das erspart einem den Ab- und Aufbau des Zelts und der Hängematte im Regen.

3. Space Weather

Zwar umfasst der Begriff Space-Weather so einiges, aber ja, Sie haben richtig gelesen. Zum Schluss gibt es noch eine Info, wie man sich über die Chance auf Beobachtungen von Aurora Borealis bzw. Polarlichtern informieren kann. Als allererstes braucht man einen sternenklaren Himmel.

Einen generellen Überblick mache ich mir hier. Ob der Himmel in der kommenden Nacht wolkenfrei ist, sehe ich beim Wolkenforecast für Astronomische Zwecke. Wenn ich Bescheid weiss, ob es sich lohnt wachzubleiben und den Himmel zu beobachten, schaue ich den Forecast der National Oceanic and Atmospheric Administration an.

So, nun hätten wir den Forecast für die Reise abgeschlossen und es kann losgehen. Ich hoffe, auch Sie haben etwas mitnehmen können, sodass Sie sich auf die nächste Reise gut vorbereiten können :)