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«Rollenvorstellungen bestimmen, was für Frauen und Männer als normal gilt»

MeteoSchweiz-Blog | 08. März 2023
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Am 8. März ist Weltfrauentag. Eine Gelegenheit, um beim Eidgenössischen Büro für Gleichstellung nachzufragen, wie es um die Gleichstellung von Frau und Mann in der Schweiz steht, was der Bund unternimmt und warum nach wie vor mehr Männer in naturwissenschaftlichen Berufen arbeiten.

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Seit 1911 feiern Frauen den Internationalen Tag der Frau. Weltweit setzen sich am 8. März jedes Jahr Frauen für Gleichberechtigung, gleiche politische Rechte und gegen Diskriminierung ein. Auch in der Schweiz gibt es noch einiges hinsichtlich Gleichstellung der Geschlechter zu tun ­– unter anderem in der Arbeitswelt, bei der Sicherheit und im Familienalltag.

MeteoSchweiz hat bei Sylvie Durrer, Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau EBG, nach der Bedeutung dieses Tages gefragt. Sylvie Durrer gibt Einblicke in die Gleichstellungsstrategie des Bundes und erklärt, wie mehr Frauen für naturwissenschaftlich-technische Berufe begeistert werden können.

Frau Durrer, heute ist Internationaler Frauentag – warum ist es wichtig, auf diesen Tag aufmerksam zu machen?

Der Internationale Tag der Frau erinnert daran, dass Gleichberechtigung und Frauenrechte nicht selbstverständlich sind. Und es geht um Solidarität: In vielen Ländern weltweit ist Frausein mit vielen Nachteilen verbunden, ihre Rechte sind eingeschränkt. Fortschritte, die erzielt wurden, können innerhalb von kurzer Zeit wieder unter Druck geraten oder gar rückgängig gemacht werden. Aber auch in der Schweiz, die stolz auf ihre Verfassung und ihre Demokratie ist, mussten Frauen hart kämpfen, bis sie schon nur wählen durften. Der 8. März erinnert uns daran, dass wir als Gesellschaft engagiert bleiben müssen, damit die Gleichstellung erreicht wird.

Wie steht es denn um die Gleichstellung in der Schweiz?

Hier müssen wir unterscheiden: Rechtlich sind Frauen und Männer heute weitgehend gleichgestellt. Im Alltag sieht es aber anders aus – da ist es noch ein weiter Weg bis zur tatsächlichen Gleichstellung.

In welchen Bereichen gibt es hierzulande am meisten Verbesserungsbedarf?

Der Blick in die Statistik zeigt, dass es in vielen Bereichen noch zu tun gibt. Zum Beispiel, was die persönliche Sicherheit angeht: In 70 Prozent der Fälle von häuslicher Gewalt ist die betroffene Person weiblich. Auch bezüglich der finanziellen Unabhängigkeit von Frauen gibt es Handlungsbedarf: Männer in der Schweiz verdienen im Schnitt 18 Prozent mehr als Frauen. Wenn Frauen Kinder haben, reduzieren sie oft ihre Arbeit oder geben sie ganz auf, haben dafür später eine tiefere Rente und ein Risiko für Altersarmut. Frauen sind in Tieflohnbranchen über- und in Kaderstellen untervertreten, genauso in Berufen in Bereichen der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT-Berufe).

Die Berufsbilder bei MeteoSchweiz sind grösstenteils naturwissenschaftlicher und mathematischer Natur. Bei MeteoSchweiz arbeiten nur etwa 30 Prozent Frauen. Prognosemodelle zu erstellen und das Wetter vorauszusagen scheinen also noch immer eher männliche Berufe zu sein. Warum ist das so?

Was für Frauen und Männer als «normal» gilt, hängt mit tief verankerten Rollenvorstellungen zusammen. Oft schon von klein auf wird Mädchen und Buben vermittelt, was sie besonders gut können oder können sollten. Aus Gleichstellungsperspektive ist es wichtig, dass Kinder möglichst frei von solchen Stereotypen aufwachsen können, damit auch die Berufswahl, aber auch das Privatleben entsprechend den persönlichen Vorstellungen und Fähigkeiten gewählt werden kann. Ziel der Gleichstellungspolitik ist es, dass jede und jeder frei entscheiden kann.

Warum ist es wichtig, dass mehr Frauen naturwissenschaftliche und technische Berufe ergreifen?

MINT-Berufe sind zukunftsfähige Berufe in einer zunehmend digitalisierten Welt. Es sind Berufe mit guten Zukunftsaussichten, Aufstiegschancen und Löhnen. Das Ziel ist also, dass durchschnittlich mehr Frauen den Weg in MINT-Berufe finden. Aber auch die Branche selbst ist auf Frauen angewiesen: Der Pool an qualifizierten Fachkräften wird grösser, und die erarbeiteten Innovationen werden vielfältiger und interessanter – weil verschiedene Perspektiven und Hintergründe für bessere, komplettere Resultate sorgen.

Wie wird dieses Ziel erreicht?

Wichtig ist, dass Mädchen bereits in der Schule über ihre vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten abseits einer stereotypen Berufswahl informiert werden. Und Vorbilder sind wichtig: Expertinnen aus dem technischen Bereich müssen öffentlich öfter das Wort ergreifen und um ihre Expertise gefragt werden. Junge Frauen erhalten so Inspiration – für technische Fächer, aber auch, um verantwortungsvolle Positionen zu übernehmen. Wir beobachten, dass in den Medien vermehrt Expertinnen zitiert werden.

MeteoSchweiz versucht gezielt, mehr Frauen einzustellen und setzt sich intern für Geschlechtergerechtigkeit und gegen Diskriminierung ein. Was könnte MeteoSchweiz als Bundesamt konkret noch tun, um für Frauen ein attraktiverer Arbeitgeber zu sein?

Es gibt Untersuchungen darüber, wie ein Stelleninserat verfasst sein muss, damit sich auch Frauen bewerben. Hier lohnt es sich, das Inserat umsichtig zu formulieren. Bieten Sie zudem gute Möglichkeiten, Erwerbsarbeit und Privatleben flexibel aufeinander abzustimmen. Das macht MeteoSchweiz als Arbeitgeber nicht nur für Frauen attraktiver – sondern auch für Männer. Es geht aber um mehr als reine Rekrutierungsfragen. Jeder Fachbereich kann sich die Frage stellen: Welche neuen, interessanten Felder ergeben sich für uns, wenn wir Fragen der Gleichstellung miteinbeziehen?

Der Bundesrat hat 2021 in der Schweiz die Gleichstellungsstrategie 2030 verabschiedet. Worum geht es?

Es ist die erste nationale Strategie des Bundes mit dem Ziel, die Gleichstellung der Geschlechter gezielt zu fördern. Die Strategie konzentriert sich auf vier Themen: die Förderung der wirtschaftlichen Autonomie der Frauen, die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Prävention von Gewalt und die Bekämpfung von Diskriminierung. Sie vereint sämtliche Massnahmen, die der öffentliche Sektor im Bereich der Gleichstellung derzeit umsetzt. Alle Massnahmen sind in einem detaillierten Aktionsplan festgehalten, der regelmässig aktualisiert wird.

Welche Rolle hat der Bund bei der Gleichstellung der Geschlechter?

Gleichstellung ist ein Thema, das sämtliche Lebensbereiche berührt. Entsprechend sind auch alle Departemente und die Bundeskanzlei mit Massnahmen in der Gleichstellungsstrategie vertreten. Der Bund selber soll Vorbild sein und hat deshalb auch Ziele und Massnahmen für die Bundesverwaltung in der Strategie.

Was wird konkret gemacht – können Sie Beispiele nennen?

Die Massnahmen des Bundes reichen von der Reform der Altersvorsorge über eine Strategie zur Vereinbarkeit von Privat-, Familien- und Erwerbsleben oder Initiativen zur Förderung von Frauen in MINT-Berufen bis zu einem Massnahmenkatalog zur Prävention von Geschlechterdiskriminierung in der Armee. Über 90 Massnahmen im Aktionsplan stammen zudem von Kantonen, fast 30 von Städten. Zudem wächst der Aktionsplan laufend um neue Massnahmen an. Es braucht die vereinten Kräfte aller föderalen Ebenen, damit die Ziele der Gleichstellung erreicht werden können.

Was wurde innerhalb der Gleichstellungsstrategie bisher erreicht?

Zum Beispiel wurde erstmals der «Gender Overall Earnings Gap» errechnet, mit dem die gesamten Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern in der Schweiz aufgezeigt werden. Das Resultat – 43 Prozent Unterschied beim Einkommen – ist nicht erfreulich, aber es hilft, die Datenbasis rund um Fragen der Gleichstellung zu verbessern und so den Handlungsbedarf aufzuzeigen. Der Bundesrat hat ausserdem entschieden, dass der Mindestanteil von Frauen in ausserparlamentarischen Kommissionen von 30 auf 40 Prozent erhöht werden soll. Der wichtigste Verdienst der Gleichstellungsstrategie aber ist: Sie hat eine Dynamik geschaffen und ermöglicht es den Akteurinnen und Akteuren, laufend neue Massnahmen beizusteuern.

Mehr Informationen zur Gleichstellungsstrategie 2030 des Bundes

Alle Hintergründe und Massnahmen auf einen Blick: www.gleichstellung2030.ch