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Temperaturprognose: Ein Blick hinter die Kulissen

MeteoSchweiz-Blog | 09. August 2023
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Hinter den simplen Zahlenwerten und Kurven, mit welchen wir in unseren Produkten die Temperatur vorhersagen, versteckt sich eine ganze Kette von Berechnungsschritten. Wir schauen uns im heutigen Blog diese komplizierte Maschinerie etwas genauer an.

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Früher …

...  war alles einfacher: Noch bis zur Jahrtausendwende informierten sich Herr und Frau SchweizerIn ausschliesslich über Radio, Fernsehen und die Zeitung über das Wetter. Für eine Handvoll Stationen oder sogar lediglich die Alpennord- und –südseite wurde auf diesen Kanälen grob die Temperatur der kommenden Tage vorgesprochen bzw. abgedruckt.

Die Meteorologen waren damals in der Lage, diese wenigen Zahlenwerte manuell zu prognostizieren. Sie orientierten sich dabei an simplen Annahmen oder Faustregeln, die meist recht gut funktionierten:

  • Klimatologie: Die Temperatur schwankt bspw. in Zürich Anfang August zwischen 5 und 35 Grad. Das mittlere Tagesminimum beträgt 15, das mittlere Maximum 25 Grad.
  • Persistenz: Die Höchsttemperatur gestern, Dienstag 8. August 2023, betrug in Zürich 22 Grad. Die Höchsttemperatur heute Mittwoch, 9. August, wird wohl ähnlich sein. Da gerade Warmluftzufuhr herrscht (wie aus den Wetterkarten und Ballonsondierungen von 00 UTC ersichtlich) kann’s vielleicht ein oder zwei Grad wärmer werden.
  • Von der Temperatur auf dem Standard-Druckniveau 850 hPa, auf 1500 m Höhe von der letzten Radiosondierung gemessen kann man als grobe Näherung mit einem vertikalen Temperaturgradienten von 1 Grad pro 100 Höhenmetern auf eine durchschnittliche Höhe von 500 m im Mittelland hinunterrechnen. Scheint die Sonne, gibt es 1 bis 3 Grad Zuschlag, fällt Regen muss der Prognosewert reduziert werden.

In der Zwischenzeit sind die Ansprüche deutlich gestiegen: Desktop-Anwendungen und Handy-Apps ermöglichen es, dem beliebten Bedürfnis nach ortsspezifischen Prognosen («Postleitzahlen-Wetter») Rechnung zu tragen. Die Erstellung von Prognosen für tausende Ortschaften, stündlich aufdatiert, muss selbstverständlich maschinell und vollautomatisch erfolgen.

Heute: Wettermodelle und «post processing»

Im 21. Jahrhundert bilden numerische Simulationen der Atmosphäre, kurz «Wettermodelle» das Rückgrat jeglicher Wetterprognose. Diese berechnen den Zustand der Atmosphäre, welche für diesen Zweck in ein feinmaschiges dreidimensionales Gitter aufgeteilt wird, für mehrere Wochen voraus unter Berücksichtigung der physikalischen Gesetze der Natur. MeteoSchweiz betreibt für die kurzfristige Prognose bis 5 Tage im Alpenraum ein eigenes Modellsystem, das COSMO, und nutzt für die erweiterte Mittelfristprognose das globale ECMWF Modellsystem.

Die Prognosen dieser Wettermodelle sind, wie an dieser Stelle schon oft beschrieben, mit Fehlern behaftet. So muss beispielsweise die durch Täler und Berge geprägte Erdoberfläche in den Alpen, also die sogenannte Orographie, geglättet werden, damit die Modelle überhaupt stabil laufen, wie die folgende Grafik am Beispiel der Gotthardregion illustriert.

Das Bild illustriert einleuchtend, dass eine Prognose für das Urner Reusstal oder einen der vielen Gipfel in der Region allein deshalb schon zum Scheitern verurteilt ist, weil die Orographie nicht hinreichend genau abgebildet ist.

Nebst der Orographie gibt es zahlreiche weitere Fehlerquellen in den Modellrechnungen. Ähnliche Probleme stellen sich mit den Seen oder den kompliziert strukturierten Städten. Die meisten Wetterdienste nutzen deshalb ausgeklügelte statistische Verfahren, um wenigstens die gröbsten systematischen Fehler zu eliminieren und so die Prognosen zu optimieren.

Post processing – statistische Nachbearbeitung

Wie so ein statistisches Verfahren funktioniert sei am Beispiel des «MOSMIX» Datensatzes des Deutschen Wetterdienstes (DWD) gezeigt, welcher auch in die Temperaturprognosen der MeteoSchweiz einfliesst. Die englische Abkürzung «MOS» steht für Model Output Statistics und deutet schon im Namen an, dass die Modelldaten als Eingangswerte dienen. Im Falle des MOSMIX des DWD sind dies die rohen, globalen Modellvorhersagen des ECMWF Modellkonsortiums sowie des DWD-eigenen ICON Modells.

Diese Modellvorhersagen wurden für eine hinreichend lange «Trainingsperiode» mit den Messwerten der Wetterstationen verglichen. Wir fokussieren hier auf die Temperatur auf 2 Metern Höhe, wobei das Prinzip für beliebige weitere messbare Grössen angewendet werden kann.

Das Korrekturverfahren (im Falle des MOSMIX ist es eine klassische multiple lineare Regression) kann verglichen werden mit dem Lernprozess eines Bogenschützens, wenn er lange genug auf die Zielscheibe schiesst. Seine Schusstechnik steht dabei analog für die rohe Temperaturprognose der Modelle. Der geübte Schütze bzw. das gute Modell trifft «unter Laborbedingungen» schon ziemlich nahe ans Ziel. Nun ist der Schütze aber auch immer zusätzlichen Umweltfaktoren ausgeliefert, denen er im Vorfeld eines Wettbewerbs nur bedingt Rechnung tragen kann: seine Tagesform oder Licht- und Windeinflüsse. In der Skizze oben trifft der Schütze im Durchschnitt stets zu weit den unteren rechten Teil der Scheibe.

Nach ein paar zusätzlichen Trainingsschüssen unter diesen Bedingungen kann er seinen Schuss entsprechend korrigieren und eliminiert so diese systematischen Abweichungen. Mit etwas mehr Konzentration reduziert er vielleicht noch die Streuung der einzelnen Schüsse. Beim Training eines MOS passiert genau dasselbe: nebst der Temperaturprognose selbst (der Zielgrösse) werden zusätzliche Vorhersageparameter wie Wind, Bewölkung oder Bodenzustand in den statistischen Gleichungen berücksichtigt. Systematische Fehler können so weitgehend ausgemerzt werden.

Inter- und Extrapolation in Zeit und Raum

Statistische Korrekturen benötigen hinreichend lange und qualitativ hochwertige Messreihen. Die so optimierten Modellvorhersagen stehen darum nur für bestimmte Standorte zur Verfügung. Um für beliebige Ortschaften zeitlich kontinuierliche Verläufe der Temperatur zur Verfügung zu stellen werden die statistisch korrigierten Werte in Raum und Zeit inter- bzw. extrapoliert. Dabei werden wiederum die Modellsysteme zu Hilfe genommen, um bspw. zeitliche Verläufe der Prognosevariablen oder den Unsicherheitsbereich der Prognose auch abseits von Standorten mit Messstationen zu liefern. Je nach Vorhersagehorizont wird das jeweils bestmögliche Modellsystem genutzt, wie die folgende Grafik illustriert.

Bei der Extrapolation der Stationswerte in den Raum werden nebst den flächigen Modellfeldern auch reale Eigenschaften der Orographie wie die Höhe über dem Meeresspiegel oder Hangneigungen berücksichtigt. Nach diesen Inter- bzw. Extrapolationsschritten stehen für unser Postleitzahlenwetter statistisch korrigierte Prognosewerte für jede Schweizer Gemeinde zur Verfügung.

Das data4web System der MeteoSchweiz rechnet stündlich neue Vorhersagen und berücksichtigt dabei stets die neusten verfügbaren Messwerte sowie Prognosedaten der eingehenden Wettermodelle. Der MOSMIX des DWD sowie die ECMWF Vorhersagen werden zwei Mal täglich neu gerechnet und in data4web integriert. Das COSMO-1 Modell rechnet acht Mal pro Tag, das COSMO-2 Modell vier Mal pro Tag einen neuen Modelllauf.

Grafische Aufbereitung und Verteilung

Im letzten Schritt werden diese Daten möglichst rasch auf der Website bzw. auf der MeteoSchweiz App aufdatiert und visualisiert. Bei der Temperatur werden insbesondere die Unsicherheiten dezent den Verlaufskurven Hinterlegt.

Bei der Bewölkung ist die grosse Schwierigkeit, von abstrakten Werten welche die Sonnenscheindauer oder den Bewölkungsgrad quantifizieren ein einfach verständliches  Wettersymbol herzuleiten, welches dem Bild möglichst nahe kommt, das sich ihnen, liebe BlogleserInnen am Himmel präsentieren wird. Das wäre noch einmal ein eigenes Blogthema für sich.