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Von -80 auf -10 Grad in einer Woche

MeteoSchweiz-Blog | 12. Januar 2024
13 Kommentare

Nein, eine derart markante Erwärmung fand nicht an der Erdoberfläche, auch nicht über dem Hochnebel, sondern hoch oben in der Stratosphäre statt. Im heutigen Blog skizzieren wir, wie eine solche abrupte Erwärmung in der Stratosphäre abläuft und warum sie wichtig ist für unser Wetter am Boden.

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Doch zuerst ein kurzer Rückblick auf das Wetter in der Schweiz am heutigen Freitag, 12. Januar 2024. Die Geschichte ist schnell erzählt: Wie bereits am Vortag lag über den Niederungen der Alpennordseite eine zähe Hochnebeldecke mit einer Obergrenze auf rund 1000 Metern. Über dem Nebel sowie in den inneralpinen Gebieten schien ganztags die Sonne ohne Einschränkungen. Am Nordrand der Schweiz sowie dem Jurasüdfuss entlang floss mit Bise am Nachmittag etwas trockenere Luft ein und vermochte die Hochnebeldecke vorübergehend aufzulösen.

In den Niederungen der Alpennordseite wurde verbreitet der vierte Eistag in Folge registriert. Das bedeutet, die Temperatur stieg ganztags nicht über den Gefrierpunkt. In Basel, Bern und Zürich ist es der fünfte Eistag dieses Monats bzw. der sechste Eistag dieses Winters. Morgen Samstag dürfte ein Weiterer dazukommen. Im langjährigen Durschnitt (Klima-Normperiode 1991-2020) werden in Basel 13, in Bern und Zürich rund 23 Eistage pro Jahr verzeichnet. Eine klimatologische Einordnung der aktuellen Witterungsphase, die von Kaltluftvorstössen geprägt ist, kann im heutigen Blog der Westschweizer Kollegen in französischer Sprache nachgelesen werden.

«Sudden Stratospheric Warming» - was ist das?

Mit einer gewissen Regelmässigkeit treten im Hochwinter in der Stratosphäre, auf 15 bis 50 km Höhe, sogenannte «Sudden Stratospheric Warmings», kurz SSWs auf. So auch in diesem Winter.

Mit dem Jahreswechsel vollzog sich auf 50 km Höhe über dem Nordpol eine plötzliche, sehr rasche Erwärmung der Luft - ein SSW. Der Anstieg der Temperaturkurve erfolgte anfangs auf der 10 hPa Druckfläche und mit etwas Verzögerung auf leicht geringerer Höhe auf der 30 hPa Fläche. Wir lassen diese jüngsten Ereignisse in der Atmosphäre nochmals Revue passieren, ordnen sie in den klimatologischen Kontext ein und stellen am Schluss die Frage, ob das alles relevant ist für das Wetter im Alpenraum.

Normalzustand der winterlichen Stratosphäre: Polarwirbel und «polar night jet»

Um ein SSW einordnen zu können müssen wir uns zunächst die Frage stellen, wie die Stratosphäre ohne ein SSW aussieht. Die nachfolgende Grafik veranschaulicht den Normalzustand, die klimatologisch mittlere Strömung über dem winterlichen Nordpol (links, dunkelblau skizzierter Wirbel).

In der Polarnacht kühlt die Luft über den Polen auf bis zu -80 Grad Celsius ab (graue Linien in den Zeitreihen weiter oben). Eine starke, von West nach Ost gerichtete und im Normalfall geradlinige Strömung umschliesst diese kalte Luft, der «polar night jet» und formt gesamthaft den Polarwirbel der winterlichen Stratosphäre. In Wintern ohne SSW ist der Polarwirbel nahezu symmetrisch geformt.

Vollzieht sich ein SSW bricht der Polarwirbel zusammen, und in Teilen der winterlichen Stratosphäre wehen plötzlich Ostwinde. Die Strömung zeigt dann entweder zwei kleine, voneinander getrennte, zyklonal drehende Wirbelzentren, die von Zonen schwacher oder gar antizyklonal orientierter Strömung umgeben sind (in Grafik der NOAA weiter oben rechts dargestellt). Oder der Polarwirbel schwächt sich gesamthaft ab und verschiebt sein Zentrum weg vom Nordpol. Diese zweite Situation hat sich im aktuellen Fall im Verlauf des Dezembers 2023 manifestiert, wie die obigen Darstellungen der Strömung auf 10 hPa zeigen.

Aktuell klingt das SSW bereits wieder ab. Der Polarwirbel intensiviert sich und nähert sich wieder dem Normalzustand an, was bei einem SSW Mitte Winter durchaus üblich ist.

Wie entstehen SSWs?

Die Ursprünge von SSWs sind näher am Erdboden, in der Troposphäre zu suchen. In der Westströmung der mittleren Breiten bilden sich wegen den grossen Gebirgsmassiven der Nordhemisphäre sowie permanent vorhandenen Wärmequellen (die Ozeane) sogenannte planetare oder «Rossby» Wellen. Diese breiten sich vertikal aus und können, wenn die mittlere Strömung in der Stratosphäre von West nach Ost verläuft und eine kritische Geschwindigkeit nicht überschreitet, in die Stratosphäre wandern und dort brechen. Das Brechen dieser Wellen «bremst» die Strömung in der Stratosphäre und schwächt den Polarwirbel, was letztendlich zum SSW führt.

Es sind komplexe dynamische Vorgänge, die mit mathematisch-physikalisch Formulierungen die in der Natur ablaufenden Prozesse realistisch abbilden, jedoch kaum auf einfach verständliche Art und Weise visualisiert werden können.

Wie wirken sich SSW auf das Wetter am Boden aus?

Während die Entstehung von SSWs von unten nach oben erfolgt, wie oben erläutert, pflanzen sich die Auswirkungen von SSWs wiederum von oben nach unten fort, sprich, von der Stratosphäre zurück zur Troposphäre und damit zum Wetter in Bodennähe.

Die kausalen Wirkungsketten sind im Detail nicht gänzlich verstanden und Gegenstand von Forschungsarbeiten. Statistische Analysen zeigen jedoch deutliche Zusammenhänge beispielsweise zwischen SSWs und der Druckverteilung am Boden sowie der Temperatur über Eurasien. Auf ein SSW folgen, mit etwas zeitlicher Verzögerung, vor allem in den nördlichen Teilen Europas oft deutlich negative Temperaturanomalien, wobei sich einzelne SSWs unterscheiden in ihren regionalen Auswirkungen auf das Wetter auf der Erdoberfläche.

Als Beispiel sei das SSW vom Winter 2020/21 gezeigt, welches sich in der Stratosphäre kurz nach dem Jahreswechsel vollzog (der aktuellen Entwicklung nicht unüblich). Von Mitte Januar bis Mitte Februar 2021 war die Temperatur in weiten Teilen des nördlichen Russlands und Nordeuropas kälter, als üblich. In der Schweiz war das Wetter in der zweite Januarhälfte zunächst unauffällig. Der Februar hingegen war insgesamt mild, wobei zur Monatsmitte eine markante Kältephase herrschte, wie am Temperaturverlauf an der Station Zürich-Fluntern oben exemplarisch gezeigt.

Eine markante Kältewelle erfasste die Schweiz ausserdem im Februar 2012, nachdem sich ebenfalls im vorangehenden Januar ein SSW vollzogen hat.

Um die aktuelle Entwicklung der Stratosphäre mitzuverfolgen sind die folgenden Links nützlich:

Einen fundierten wissenschaftlichen Überblick über das Thema SSW gibt der folgende Artikel:
Mark P. Baldwin et al. (2020): Sudden Stratospheric Warmings