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Gewitter vom 24. Juli 2023 in La Chaux-de-Fonds: Untersuchung des verheerenden Windereignisses

MeteoSchweiz-Blog | 23. April 2024
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Am 24. Juli 2023 fegte ein heftiges Gewitter über die Region La Chaux-de-Fonds hinweg, verursachte grosse Schäden und forderte etwa 40 Verletzte und ein Todesopfer. In den darauffolgenden Monaten wurde das Extremereignis gründlich untersucht. In diesem Blog berichten wir über die Ergebnisse dieser meteorologischen Untersuchung.

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Um den Ursprung, der mit diesem Gewitter verbundenen heftigen Winde zu beschreiben, wurden die Untersuchungen unter Verwendung zahlreicher verschiedener Datenquellen durchgeführt, die nicht alle in diesem Blog vorgestellt werden können. Wer sich vertieft mit diesem Ereignis auseinandersetzen möchte, findet in unseren Publikationen einen ausführlichen Arbeitsbericht dazu.

In diesem Blog schauen wir uns zwei Datensätze an, die sich im Laufe der Untersuchungen als besonders wertvoll erwiesen haben:

  • Einerseits die Daten unseres Wetterradars, mit dem Niederschläge und Winde in Gewittern beobachtet werden können
  • Andererseits Luftbilder, die vom Geomatikdienst des Kantons Neuenburg (SITN) zur Verfügung gestellt wurden

Der Nutzen von Radardaten

Ein Wetterradar misst zwei Parameter, die bei der Untersuchung von konvektiven Phänomenen sehr interessant sind:

  • Niederschlagsintensitäten, die in Gewittern oft stark sind, wenn Hagel und Starkregen auftreten

  • Radiale Windgeschwindigkeiten, d.h. die Geschwindigkeit, mit der die (horizontalen) Winde auf das Radar zu- oder von ihm wegströmen, und die auch Auskunft über Rotationen in Gewittern geben können

Aus Gründen der Radarreichweite (die Sichtbarkeit des Radars auf dem La Dôle ist in nordöstlicher Richtung wegen der Abschattung durch ein anderes Radargerät stark beeinträchtigt) stammen die analysierten Daten vom Radar auf der Pointe de la Plaine Morte im Kanton Wallis.

Bei einem Windereignis wie in La Chaux-de-Fonds sind es die Radialgeschwindigkeiten, die uns besonders interessieren. In Abbildung 1 sind die Radialgeschwindigkeiten dargestellt, die am untersten Abtaststrahl des Plaine Morte Radars gemessen wurden, also gut 3000 Meter über La Chaux-de-Fonds. Die Farben zeigen uns, ob die Winde auf das Radar zuströmen/konvergieren (rot) oder ob sie sich entfernen/divergieren (blau).

Diese Paarung von konvergent-divergenten Radialgeschwindigkeiten weist auf eine Rotation der gesamten Gewitterzelle hin, die als Mesozyklone bezeichnet wird. Wenn wir in die Abbildung hineinzoomen, sehen wir dasselbe Paar auf einer feineren Skala, ein potenzieller Hinweis auf einen kleineren Wirbel, der möglicherweise mit einem Tornado in Verbindung steht.

Leider reicht die Auflösung der Radarmessungen (aufgrund ihrer Entfernung) nicht aus, um Tornados mit einer typischen Breite von einigen zehn bis hundert Metern zu erkennen. Zudem wurden diese Windgeschwindigkeiten in einer Höhe von fast vier Kilometern gemessen, während Tornados eher in Bodennähe entstehen.

Somit lassen die Radardaten zwar den Verdacht auf Windrotationen in zwei Grössenordnungen zu, aber nicht auf das Vorhandensein eines Tornados, obwohl die Stärke einer in Les Eplatures gemessenen Böe von 217 km/h und das Ausmass der Schäden darauf hindeuten.

Ein Tornado ist naturgemäss ein sehr kleines Phänomen, das oft durch die Maschen von Messstationen und Radarbeobachtungen fällt. Beim Durchzug des Gewitters war kein Tornado zu sehen, da der Niederschlagsvorhang sehr dicht war und die Wolkenbasis nahe der Jurakreten lag. Für weitere Untersuchungen mussten wir daher auf andere Datensätze zurückgreifen.

Untersuchung der Schäden

Der Durchzug des Gewitters hat grosse Schäden verursacht, die teilweise nur sehr lokal aufgetreten sind. Dies hat zur Folge, dass die betreffenden Phänomene durch die Maschen der Messinstrumente und der Wetterradare gefallen sind, da deren Auflösung aufgrund ihrer Entfernung begrenzt ist. Auf der französischen Seite des Juras wurden zahlreiche Schäden beobachtet, wie die Karte des wahrscheinlichen Verlaufs der starken Böen mit Angabe der Intensitätsskala zeigt, die von Keraunos im Rahmen ihrer Analyse nach dem Ereignis erstellt wurde (siehe Abbildung 2).

Wir konzentrieren uns nun auf einige Gebiete, die repräsentativ für die Windbedingungen sind, die beim Durchzug des Gewitters zwischen Le Locle und La Chaux-de-Fonds aufgetreten sind. Die Gebiete wurden nach einer sorgfältigen Analyse von Luftbildern identifiziert, die auf der Richtung und Geometrie des Baumbruchs basieren. Wie Abbildung 3 zeigt, konnten zwei Schneisen von Schäden festgestellt werden: Auf der West- und Südseite der Stadt sind lineare Schäden zu beobachten, die eher für einen Downburst sprechen, während an der Nordflanke des Tals eher unorganisierte Schäden zu beobachten sind, die auf einen Tornado hindeuten.

Westlicher und südlicher Stadtrand

Die Ausrichtung der Schäden westlich und südlich von La Chaux-de-Fonds unterscheiden sich deutlich von jenen nördlich davon. Wie in Abbildung 4 zu sehen ist, zeigen die umgestürzten Bäume westlich der Stadt oft in die gleiche Richtung. Es liegt im Allgemeinen eine westliche bis südwestliche Ausrichtung vor, wobei die von West nach Ost liegenden Bäume die von Südwest nach Nordost liegenden überlagern, was den Ablauf der allmählichen Drehung der Winde von Süd über Südwest nach West zum Zeitpunkt, als die Zelle La Chaux-de-Fonds überquerte, bestätigt. Diese Regelmässigkeit über einige Dutzend Meter ist typisch für Fallwinde, die aus der gleichen Richtung wehen, und deutet daher auf einen Downburst im südlichen Bereich der Superzelle hin.

Nordflanke des Tals

An der Nordflanke des Tals, von der Combe de Monterban bis zum nördlichen Stadtrand von La Chaux-de-Fonds findet man zahlreiche Schäden, die in diverse Himmelsrichtungen, d.h. nach Osten, Südosten, Süden, Westen und Nordwesten ausgerichtet und sehr lokal begrenzt sind. Dies zeigen die in entgegengesetzte Richtung liegenden, umgestürzten Bäume (siehe Abbildung 5). Auf dem Bild mit der höchsten Zoomstufe (Abbildung 5, unten links) ist zu erkennen, dass innerhalb von nur 40 Metern Entfernung Bäume in westlicher, südlicher und östlicher Richtung liegen, was den extrem lokalen Charakter der Winddrehung noch einmal unterstreicht.

Die nördlichen Bereiche der einzelnen Schadensgebiete zeigen oft eine Nordwest- oder lokal sogar Nordausrichtung, was wahrscheinlich mit der östlichen bis nordöstlichen Zugbahn der Gewitterzelle zusammenhängt und möglicherweise mit dem Durchzug eines Tornados zusätzlich verstärkt wurde.

Ein hybrides Ereignis – Mischung aus Downburst und wahrscheinlich Tornado

Die geografische Verteilung von Schäden unterschiedlicher Art stimmt mit der Zugbahn und der Struktur der Superzelle auf deren Weg durch die Stadt überein.

Entlang der Nordflanke der Stadt sind konvergente Schadensmuster an der Vegetation sichtbar, die zum Durchzug eines Tornados passen. Im Gegensatz dazu sind im Westen und Süden der Stadt eher geradlinige und divergente Schadensmuster zu erkennen, die eher mit denen eines Downbursts in Verbindung gebracht werden können.

Die später gesammelten Videos und Zeugenaussagen (werden hier nicht behandelt) belegen ebenfalls, dass die Winde sowohl plötzlich und geradlinig als auch stellenweise konvergent und sogar wirbelnd waren.

Der südliche Teil des Gewitters wurde von abwärts gerichteten Böen, d.h. Downbursts geprägt, die mit dem «Rear Flank Downdraft» (RFD; rückseitiger Abwind) der Superzelle verbunden waren. Im Gegensatz dazu befand sich der nördliche Teil der Stadt in einem Gebiet, das von einer tornado-ähnlichen Rotation betroffen war, da es sich in der Konvergenzzone zwischen dem RFD und der Aufwindzone befand. Kombinieren wir diese Beobachtungen mit konzeptionellen Schemen, die auf unserem Wissen über Superzellen basieren, können wir ableiten, welche Windphänomene am wahrscheinlichsten für die Schäden verantwortlich waren: Es handelt sich somit wohl um ein hybrides Ereignis (siehe Abbildung 6).

Fazit

Die extremen Böen, die mit dieser Superzelle einhergingen, scheinen das Ergebnis mehrerer Phänomene zu sein, die direkt oberhalb von La Chaux-de-Fonds zusammen aufgetreten sind. Zudem haben die sehr starken, mit Niederschlag durchsetzten Abwinde höchstwahrscheinlich dazu beigetragen, dass hinter dem Niederschlagsvorhang am Schnittpunkt der Aufwindzone und des RFD eine tornado-ähnliche Rotation entstand. Diese scheint sich mit dem RFD, der für den Downburst verantwortlich war, vermischt zu haben, insbesondere in der Region Crêt-du-Locle und entlang der Nordflanke der Stadt La Chaux-de-Fonds, was das Zerstörungspotenzial noch verstärkt hat. Die Superzelle wurde von Höhenwinden von mehr als 80 km/h begleitet, entsprechend zog sie rasch über La Chaux-de-Fonds hinweg (in der Grössenordnung von etwa zehn Minuten).

Diese Untersuchung und die Schlussfolgerungen werden dazu beitragen, unsere Instrumente zur Echtzeitverfolgung dieser sehr gefährlichen Situationen in Zukunft zu optimieren. Intern wurden zahlreiche Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert, um solche Phänomene besser vorherzusehen, auch wenn es derzeit noch unmöglich ist, derart lokal begrenzte und intensive Ereignisse mehrere Stunden im Voraus und manchmal sogar mehr als 10 bis 15 Minuten im Voraus zu prognostizieren.

In einem weiteren Blog werden wir uns mit der Plausibilität der extremen Windböe von 217 km/h befassen, die auf dem Flugplatz Les Eplatures beim Durchzug dieses Gewitters gemessen wurde.

Weitere Informationen

  • Arbeitsbericht über den verheerenden Sturm in La Chaux-de-Fonds (auf Französisch)

Links zu den Daten des Geoportals SITN, dem wir herzlich für die Freigabe danken: