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Wie lange dauert ein Tag?

MeteoSchweiz-Blog | 08. August 2024
11 Kommentare

Die Antwort auf diese Frage erhält man durch zwei einfache Multiplikationen: Es sind 24x60x60 = 86’400 Sekunden. Aber schauen wir doch etwas genauer hin …

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Sie ahnen es natürlich schon, geschätzte Blogleser/-in, auf Grund des heutigen Blogtitels: Die Tageslänge bzw. die Rotationsgeschwindigkeit der Erde ist nicht konstant, sondern variiert geringfügig. Diese Tatsache wurde spätestens im vergangenen Jahrhundert offenkundig, als mit hochpräzisen Uhren die Zeit gemessen wurde. Seit den 1960er Jahren stehen Satelliten-gestützte Messungen zur Verfügung, mit welchen unter anderem auch diese Variationen der Rotationsgeschwindigkeit der Erde sehr genau erfasst werden können. Schauen wir uns die Resultate dieser Messungen zunächst im Überblick an.

Vor der Jahrtausendwende schwankte Abweichung der tatsächlichen Tageslänge von der standardisierten (86'400 Sekunden) zwischen +1 bis +3 Millisekunden pro Tag. In den 2000er und 2010er Jahren reduzierte sich diese auf rund eine Millisekunde. In den letzten drei Jahren waren die Abweichungen negativ. Die Tageslänge nahm geringfügig ab, oder mit anderen Worten, die Rotationsgeschwindigkeit der Erde erhöhte sich erstmals seit Beginn dieser Messungen. Die Ursachen für dieses Verhalten sind Gegenstand laufender Forschungen (siehe Literaturhinweis dazu am Ende des Textes).

Treue Blogleser/-innen werden sich mittlerweile an unsere Zeitangaben in «Universal Time Coordinated», UTC gewöhnt haben, welche in der Meteorologie und in vielen anderen wissenschaftlichen und technischen Disziplinen verwendet werden (UTC = MEZ – 1h oder MESZ - 2h). In der UTC, welche in Relation zur Atomzeit («Temps Atomique International» TAI) definiert ist, dauert ein Tag immer gleich lang, eben 86'400 Sekunden. Um der zunehmenden Differenz zur realen Tageslänge Rechnung zu tragen, welche die Erde auf Grund ihrer variablen Rotationsgeschwindigkeit aufweist, müssen regelmässig Schaltsekunden in UTC eingeführt werden, doch das ist nochmals ein ganz anderes, eigenes Thema für einen späteren, ausführlichen Blog (Neugierige finden hier detaillierte Informationen).

Langfristige Abnahme der Erdrotationsgeschwindigkeit

Auf sehr langen erdgeschichtlichen Zeitskalen betrachtet nimmt die Rotationsgeschwindigkeit der Erde ab bzw. werden die Tage mit der Zeit immer länger. Der Hauptgrund dafür sind die Gezeitenkräfte des Mondes, welche etwas salopp formuliert die Rotationsbewegung der Erde «bremsen». Die Zunahme der Tageslänge wird von Wissenschaftler/-innen auf rund 2 Millisekunden pro Jahrhundert beziffert.

Kurzfristige Schwankungen der Erdrotation

Die Tageslänge variiert auch auf kürzeren Zeitskalen von Tagen bis Jahrzehnten, wie in Abbildung 1 illustriert. Ursachen hierfür sind beispielswiese Veränderungen der Strömungen im flüssigen Teil des Erdinneren oder der Wechsel von Eiszeiten und Warmzeiten, welche für Verschiebungen der Massenverteilung und der Gestalt der festen Erdbestandteile auf unserem nicht kugelrund geformten Planeten verantwortlich sind. Klimatische Veränderungen der globalen Zirkulation der Atmosphäre und Ozeane auf der Zeitskala von Jahren bis Jahrhunderten bewirken ebenfalls Änderungen der Rotationsgeschwindigkeit der Erde.

Bevor wir den Fokus auf die jährlichen Schwankungen richten und den Link zum Wetter herstellen, ist an dieser Stelle ein kurzer Exkurs in die Grundlagen der Mechanik notwendig.

Der Drehimpuls – eine physikalische Erhaltungsgrösse

Ein System hat dann einen Drehimpuls, wenn es sich um seinen Massenschwerpunkt dreht, wie bspw. ein Kreisel, ein Sportler bei einer Pirouette oder ein Planetensystem.

Der Drehimpuls bezieht sich immer auf den Punkt im Raum, der als Bezugspunkt der Drehbewegung gewählt wird. Bei einem frei rotierenden System wird als Bezugspunkt oft der Schwerpunkt festgelegt, in der Astronomie meist der Schwerpunkt des Zentralgestirns.

Leonhard Euler führte 1775 den sogenannten Drallsatz als ein fundamentales von den Newton’schen Gesetzen unabhängiges Prinzip in der Mechanik ein. Er besagt, dass der Drehimpuls erhalten bleibt, solange keine äussere Einwirkung auf da System erfolgt. Die Drehimpulserhaltung lässt sich im Alltag an vielen Stellen erfahren, bspw. beim Pirouetten-Effekt.

Die Erhaltung des Drehimpulses auf die rotierende Erde angewandt bedeutet stark vereinfacht: Wenn die Atmosphäre insgesamt schneller rotiert, muss sich der Rest der Erde langsamer drehen. Und umgekehrt. In der folgenden Grafik sind die gesamthaften Schwankungen der Messwerte in Abbildung 1 nach Beiträgen von verschiedenen Prozessen, die auf den unterschiedlichen Zeitskalen wirken aufgeschlüsselt.

Den langfristigen Schwankungen der Tageslänge (blaue Kurve in Abbildung 2) ist eine ziemlich regelmässige saisonale Variation überlagert, welche ein Maximum im Sommerhalbjahr und ein Minimum im Winterhalbjahr aufweist (weisse Kurve im mittleren Teil der Grafik).

Subtrahiert man die Schwankungen langfristigen und saisonalen Schwankungen bleibt ein mehr oder weniger irreguläres «Rauschen» übrig. Einzelne atmosphärische Ereignisse wie bspw. der El Nino von 1983 können Ausschlägen dieser grünen Kurve zugeordnet werden.

Die jahreszeitliche Schwankung der Erdrotation

Um diese zu verstehen müssen wir einen Blick auf die Atmosphäre werfen. Die Westwinddrift ist auf der Nordhemisphäre im Winter deutlich stärker als im Sommer. Sie ist ausserdem grösseren jahreszeitlichen Schwankungen unterworfen als diejenige der Südhemisphäre, wie die nachfolgenden Darstellungen der mittleren zonalen Strömung illustrieren (Abbildung 3 unten).

Wenn im Winterhalbjahr keine Sonnenstrahlung auf den Winterpol einfällt, kühlt sich dort die Luft ab und es baut sich ein starkes Temperaturgefälle zwischen den niederen und hohen Breitengraden auf. In der Atmosphäre der mittleren Breitengrade intensiviert sich die Tiefdruckaktivität und mit dieser die Westwinddrift, was netto zu einem effizienten Austausch von kalten, polaren und subtropischen, warmen Luftmassen und damit zu einem Abbau des meridionalen Temperaturgefälles führt. Es sind diese Vorgänge, die wir letztendlich als «Wetter» bezeichnen und erleben.

Für die Verteilung der Drehimpulskomponenten der Atmosphäre und der festen Erde bedeutet das wiederum: Wenn die Atmosphäre im nordhemisphärischen Winter einen höheren Drehimpuls aufweist als im Sommer, wird dies durch die feste Erde kompensiert, indem diese sich langsamer dreht. Dieser Effekt ist in der grauen Kurve in Abbildung 1 erkennbar: Die positiven Abweichungen der Tageslänge vom Standardwert sind im nordhemisphärischen Winter am grössten. Das heisst, die Tage sind am längsten, die feste Erde rotiert langsamer. Umgekehrt sind die Tage im nordhemisphärischen Sommer kürzer bzw. dreht sich die feste Erde schneller, während die Westwinddrift der nordhemisphärischen Atmosphäre langsamer ausfällt.

Mehr als die paar für uns Menschen nicht spürbaren Millisekunden interessiert sie, geschätzte Blogleser/-in, im Alltag vermutlich, wie lange tagsüber die Sonne scheint. Die «längsten Tage» sind zwar gemäss Volksmund schon vorbei, doch beim derzeit anhaltenden stabilen Wetter darf man Mitte August immer noch eine rund 14 Stunden geometrisch mögliche maximale Sonnenscheindauer erwarten und damit sonniges Sommerwetter geniessen. Nach einer vorübergehenden Hitzewelle werden schon bald wieder kürzere Tage mit turbulenterem Wetter folgen – oder richtig gesagt, LÄNGERE Tage!

Weiterführende Links und Literatur: