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Verheerende Unwetter im Südosten Spaniens

MeteoSchweiz-Blog | 31. Oktober 2024
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Am Dienstag, 29. Oktober 2024 wurden Teile Spaniens von aussergewöhnlich heftigen Gewittern heimgesucht. Im heutigen Blog geben wir eine Übersicht über die Wetterlage, welche diese extremen Niederschläge verursacht hat.

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Wie immer bei Extremereignissen sind es mehrere Faktoren, welche ungünstig zusammentreffen und zu verheerenden Unwettern mit massiven Auswirkungen auf Mensch und Infrastruktur führen. Wir versuchen nachfolgend, die wichtigsten Prozesse, welche mutmasslich am Werk waren, aufzulisten und zu illustrieren.

In der Region Valencia wurden im Hinterland der Küstenebene teils über 300 mm Niederschlag innert weniger Stunden registriert. Der Spanische Wetterdienst AEMET meldet in Chiva eine Niederschlagssumme von 491 mm innert 8 Stunden, was an dieser Station ungefähr der Jahresniederschlagsmenge entspricht! In den sozialen Medien kursieren ausserdem Meldungen von über 600 mm, gemessen an privaten Wetterstationen.

«Forcing» in den hohen Luftschichten

Im Zusammenhang mit Gewittern meint man im englischen Sprachgebrauch mit «Forcing» all jene Faktoren, welche vor und während der eigentlichen Phase der lokal bis regional sich entwickelnden Gewittersysteme grossräumige Hebungsvorgänge in der Atmosphäre bewirken. Diese Hebungsvorgänge führen in den Luftmassen, in welchen sich die Gewitter entwickeln, zu einer Labilisierung und Anfeuchtung. Grossräumige Hebungsvorgänge (in der Grössenordnungen Zentimeter bis wenige Meter pro Stunde) sind nicht zu verwechseln mit den Aufwindbereichen in den einzelnen, kleinräumigeren Gewitterzellen. Letztere sind eine Folge davon und sind betragsmässig deutlich stärker (mehrere Meter bis 100 Meter pro Sekunde).

Die Wetterlage über der Iberischen Halbinsel war in diesem Fall durch ein abgeschlossenes Höhentief geprägt. Dieses wurde am 24. Oktober westlich der Britischen Inseln von einem Höhentrog über dem Nordatlantik abgeschnürt und hat sich anschliessend südwärts Richtung Spanien verlagert, wo es seit dem 27. Oktober mehr oder weniger ortsfest verharrt.

Markant ist der starke Jetstream an der südöstlichen Flanke dieses Höhentiefs. Der «linke Ausgang» des Jets ist diejenige Zone, in der in den hohen und darunter strömenden mittelhohen Luftschichten die grossräumige Hebung maximal ausgeprägt ist. Diese Zone lag in der ersten Tageshälfte über den südlichen Landesteilen und verschob sich im weiteren Tagesverlauf der Mittelmeerküste entlang Richtung Ostspanien.

Niedertroposphärische Feuchtezufuhr

In den tiefen Luftschichten ist ein Tiefdruckgebiet westlich der Meerenge von Gibraltar erkennbar. An seiner Ostflanke steuert es in den tiefen Luftschichten eine starke Strömung aus Sektor Südost, welche fast rechtwinklig vom Mittelmeer zur Küste trifft. Mit Taupunkten von 17 bis 20 Grad war diese Luftmasse sehr feucht und lieferte die Energie, oder salopp gesagt das «Benzin» für die Gewitter, die sich im Hinterland über Stunden hinweg ständig wieder regenerierten. In den nachfolgenden Darstellungen ist diese starke Feuchtezufuhr mittels der CAPE, der «Convective Available Potential Energy», sowie dem bodennahen Wind visualisiert.

Diese Hebungsvorgänge in den höheren Luftschichten und die starke Feuchtezufuhr in Bodennähe dauerten den ganzen Tag an. Die Stationarität dieser grossräumig für starke Gewitter notwendigen Zutaten ist ein wesentlicher Aspekt dieser Unwettersituation.

Die Rolle der Saharaluft?

Ein dritter wichtiger Faktor ist das Einströmen von Luftmassen aus Nordafrika an der südlichen Peripherie des Tiefdruckgebiets. In den folgenden Abbildungen sind Rückwärtstrajektorien für Ankunft in Gandia an der Küste südlich von Valencia dargestellt. Sie illustrieren einerseits die oben beschriebene bodennahe Feuchtezufuhr vom Mittelmeer her unterhalb von rund 900 hPa. Luft mit Ankunft auf 800 bzw. 700 hPa hingegen strömte in der ersten Tageshälfte von der Sahara her nach Spanien, wobei entsprechende Signaturen in Satellitenbildern auch die Anwesenheit von Saharastaub verraten. Letzter scheint jedoch eher die Küstengebiete im Süden Spaniens erfasst zu haben, und weniger die hauptsächlich betroffenen Gebiete nördlich der Costa Blanca in der Region Valencia. Ob und wie genau Saharastaub dieses Ereignis beeinflusst hat ist unklar.

In der zweiten Tageshälfte zeigen die Trajektorien der 800 und 700 hPa Druckflächen eine Zugbahn von den Küstengebieten Portugals her um das Tiefdruckgebiet herum via westliches Algerien zur Costa Blanca, während die bodennahe Luft unvermindert vom zentralen und westlichen Mittelmeer herkommend einströmte und die bis in den Abend andauernden Gewitter nährte.

In den Radiosondenprofilen von Murcia ist der SAL, der «Saharan Air Layer» hingegen gut als vollständig durchmischte Luftschichten erkennbar (die Temperatur folgt in der Emagramm-Darstellung parallel zu den Trockenadiabaten, der Taupunkt folgt den Isolinien des Mischungsverhältnisses).

Der SAL spielt nicht nur wegen seines Gehalts an Staub und weiteren Aerosolen, welche die Niederschlagsbildung auf der mikrophysikalischen Skala beeinflussen, eine wichtige Rolle. Er ist durch eine hohe Labilität charakterisiert, wie an der starken vertikalen Temperaturabnahme gut erkennbar. Ein aus den tieferen Luftschichten aufsteigendes Luftpaket, erfährt in diesen Höhenbereichen eine starke vertikale Beschleunigung, da seine Temperatur im Vergleich zur umgebenden Luft immer wärmer wird und damit über einen hohen Auftrieb verfügt (violette Kurve im Emagramm).

Gewitterauslösung am Relief

Um in diese labile Luftschicht des SAL hinaufzustossen muss die bodennahe, feuchtlabile Luft zunächst ein paar hundert Meter angehoben werden. Erst nach Überwindung einer dünnen stabilen Luftschicht, die im Murcia Profil durch eine geringfügige vertikale Temperaturabnahme knapp unterhalb 900 hPa erkennbar ist, kann die bodennahe Luft bis zur Tropopause auf rund 10 km Höhe aufsteigen und ihre gespeicherte Energie freisetzen bzw. das enthaltene Wasser zum Ausregnen bringen. Der starke Ostwind, der in den Küstengebieten von Valencia südwärts bis zur Costa Blanca mit 30 bis 50 km/h wehte, vermochte die energiereiche Luft problemlos über das 500 bis 1500 m hohe Küstengebirge anheben.

Ausserdem trug dieser starke Ostwind auch dazu bei, dass die in den Niederschlagsgebieten produzierte Kaltluft, im englischen Fachjargon «cold pool» genannt, sich nicht bis aufs Meer hinaus ausbreiten und so die Zufuhr von feuchtlabiler unterbinden konnte. Ganz im Gegenteil: Die südliche Strömung in den höheren Luftschichten verfrachtete die stärksten Niederschläge zügig weg von den Aufwindzonen der Gewitter, was die stundenlange Neubildung des Gewittersystems erst ermöglichte.

Abschliessende Hinweise zu dieser Analyse

Aufgrund der Komplexität der Vorgänge in der Atmosphäre, der unvollständigen Datenlage und aus Zeitmangel verzichten wir bewusst auf eine genauere Ursachenforschung. Um eine Gewichtung der oben aufgeführten Prozesse vorzunehmen und um besser eingrenzen zu können, welches die Hauptgründe für dieses Extremereignis waren, müssten detaillierte Simulationen mit hochauflösenden Wettermodellen durchgeführt werden. Letztere sollten in der Lage sein, die gefallenen Niederschlagsmengen zumindest in der beobachteten Grössenordnung regional korrekt wiederzugeben. Mit derartigen Modellrechnungen in der Hand könnten belastbare Aussagen über die detaillierten Vorgänge in der Atmosphäre getroffen und weiterreichendere Schlussfolgerungen gezogen werden können, als wir es hier im Rahmen eines Blogs zu tun vermögen.