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Die atmosphärische Zirkulation – Teil 1

MeteoSchweiz-Blog | 15. November 2024
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Seit Galileo Galilei wissen wir, dass sich die Erde dreht. Das hat Auswirkungen auf viele Phänomene, die auf der Erdoberfläche auftreten, angefangen beim Wetter. Diese vierteilige Blogserie befasst sich auf sehr einfache Weise damit, wie eine Drehbewegung in der Physik beschrieben wird und welche Auswirkungen sie auf bestimmte Wetterphänomene hat, insbesondere auf die allgemeine Zirkulation der Atmosphäre.

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Winkelgeschwindigkeit

Stellen wir uns eine Militärparade vor, bei der die Truppe in 20er-Reihen aufgereiht an uns vormarschiert. Auf das Kommando «Vierteldrehung nach links» vollzieht die Truppe eine Richtungsänderung um 90° nach links, wobei sie in perfekt ausgerichteter Formation bleibt. Was genau passiert dabei? Die Soldatin ganz links in der Reihe führt eine Vierteldrehung nach links aus und bleibt dabei an Ort und Stelle stehen, während der Soldat ganz rechts in der Reihe beschleunigen muss, um mit dem Rest der Truppe Schritt zu halten. Denn, bei einer Drehung um den gleichen Winkel von 90° wird der zurückzulegende Weg immer länger, je weiter weg man sich von der Drehachse – in diesem Beispiel der Soldatin ganz links – befindet. Da aber die Strecke von allen in derselben Reihe in der gleichen Zeit zurückgelegt werden muss (damit die Linie nicht verzerrt wird), nimmt die Geschwindigkeit mit zunehmendem Abstand von der Drehachse proportional zu.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Rotationsgeschwindigkeit nicht mit einfachen und üblichen Begriffen wie km/h ausgedrückt werden kann, sondern unter Einbeziehung des zurückgelegten Winkels formuliert werden muss. Dabei spricht man von der Winkelgeschwindigkeit, d.h. dem pro Zeiteinheit zurückgelegten Winkel, die in der Physik mit dem Symbol Omega (ꞷ) notiert wird. Um sie zu beschreiben, gibt es viele verschiedene Formulierungen (z.B. Radiant pro Sekunde) oder Umdrehungen pro Minute. Als Beispiel kann man sich die Umdrehungen eines Automotors vorstellen.

Kommen wir zurück zur Erde. Deren Bewegung kann, obwohl im Detail recht komplex, wie folgt vereinfacht werden: Sie dreht sich einmal in 24 Stunden um sich selbst (d.h. ꞷ = 360°/24h). Das bedeutet, dass die tatsächliche lineare Geschwindigkeit einer Person an den Polen null beträgt, da sie sich nur um sich selbst dreht. Am Äquator hingegen und unter Berücksichtigung des Erdradius von 6378 km beträgt die Geschwindigkeit 1674 km/h und die in 24 Stunden zurückgelegte Strecke etwa 40 000 km.

Impuls und Drehimpuls

Nun wird es etwas komplexer, aber keine Sorge, auch hier versuchen wir, die Thematik mit einem möglichst einfachen Beispiel zu veranschaulichen.

Es leuchtet ein, dass eine Fliege und ein vollbesetzter SBB-Wagen, die beide mit 30 km/h unterwegs sind, nicht das Gleiche sind. Der Unterschied zwischen beiden liegt im so genannten Impuls, dem Produkt aus der Masse (m) und der Geschwindigkeit (v). Der Impuls eines SBB-Wagens, der sich mit 30 km/h bewegt, ist viel grösser als der einer Fliege, die mit der gleichen Geschwindigkeit fliegt.

Wie wir weiter oben gesehen haben, hängt bei gegebener Winkelgeschwindigkeit die tatsächliche lineare Geschwindigkeit eines rotierenden Objekts von seinem Abstand zur Rotationsachse ab. Der Impuls des Objekts (der die Geschwindigkeit einschliesst) ändert sich daher auch mit dem Abstand zur Rotationsachse (dem Radius r). Dies wird als «Drehimpuls» (oder kinetischer Impuls) (L) bezeichnet, d.h. das Produkt aus Impuls und dem Abstand zur Drehachse (L = mvr).

Wenn keine äussere Kraft einwirkt, ändert sich der Drehimpuls eines Körpers nicht. Die Gleichung L = mvr bedeutet also, dass, wenn einer der drei Parameter (m, v, oder r) abnimmt, einer der beiden anderen Parameter proportional dazu zunehmen muss, damit der Drehimpuls L erhalten bleibt.

Das klassische Beispiel für die Erhaltung des Drehimpulses ist die Rotationsgeschwindigkeit einer Eiskunstläuferin (in diesem Fall Denise Bielmann). Die Rotationsgeschwindigkeit nimmt zu, wenn die Eiskunstläuferin ihre Arme näher an den Körper bringt. In der Sprache der Mathematik würde man sagen, dass sie r (ihren Radius) verkleinert und damit v (ihre Rotationsgeschwindigkeit) vergrössert, um L (den Drehimpuls) zu erhalten.

Machen Sie das Experiment selbst, z.B. mithilfe eines einfachen Drehhockers: Setzen Sie sich auf den Hocker und drehen Sie sich so schnell wie möglich mit ausgestreckten Armen und Beinen und ziehen Sie sie dann allmählich wieder zu sich heran. Da die Masse m konstant bleibt, wird sich die Rotationsgeschwindigkeit v sofort erhöhen.

Ein weiteres einfaches Experiment besteht darin, einen an einer Schnur befestigten Gegenstand um den Finger kreisen zu lassen. In dem Masse, wie sich die Schnur um den Finger wickelt (der Radius r wird kleiner), nimmt die Geschwindigkeit des Objekts zu.

Was bedeutet das nun für das Wetter?

Da die Winkelgeschwindigkeit der Erde konstant ist, wird die Bewegung der Luftmassen auf der Erdoberfläche davon beeinflusst, ob sie sich den Polen nähern oder von ihnen entfernen (d.h. den Abstand zur Rotationsachse r verringern oder vergrössern). Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Erde eine Kugel und keine Scheibe ist, was die Sache etwas komplizierter macht. Dies wird im zweiten Teil der Blogserie über die atmosphärische Zirkulation behandelt.

Hinweis: Dieser Blog wurde ursprünglich auf Französisch publiziert.