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Die atmosphärische Zirkulation – Teil 2

MeteoSchweiz-Blog | 16. November 2024
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Die Erdrotation ist absolut zentral, um das Verhalten der Atmosphäre auf der Erde zu erklären. Gestern wurde im ersten Teil der Blogserie aufgezeigt, wie in der Physik die Kreisbewegung durch den Impuls und Drehimpuls beschrieben wird. Im heutigen Blog widmen wir uns der Rotationsbewegung der Atmosphäre und werfen ein Augenmerk auf die Wirbel.

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Sie sind sicher in einem unserer Blogs über den Begriff Vortizität (englisch: vorticity) gestolpert. Die Vortizität (oder Wirbelhaftigkeit) gibt die Wirbelstärke einer Strömung an. In der Meteorologie verwenden wir diesen Begriff, um damit die Rotation der Luft um eine Achse zu beschreiben. Deshalb verwenden wir den Begriff Vortizität anstatt Wirbel in diesem Blog.

Stellen Sie sich vor, Sie stehen in Ihrem Wohnzimmer und drehen sich um die eigene Achse:  Sie verleihen Ihrem Körper Vortizität. Diese ist maximal, da die Drehachse mit der vertikalen Achse ihres Körpers übereinstimmt. Damit Vortizität entsteht, müssen die Achse Ihres Körpers und die Drehachse jedoch nicht übereinander liegen, sondern es genügt, wenn sie parallel zueinander sind. Bei einem Karussell zum Beispiel ist die Vortizität gleich, egal ob Sie sich in der Mitte des Karussells befinden oder am Rand des Karussells, da Sie sich in der gleichen Zeit einmal um sich selbst drehen denn die Winkelgeschwindigkeit ist gleich. Was jedoch anders ist, ist die Geschwindigkeit mit der Sie sich um die Achse drehen – dies wurde im ersten Teil der Blogserie erklärt.

In der Meteorologie sprechen wir von einer positiven Vortizität, wenn die Drehung gegen den Uhrzeigesinn verläuft (zyklonal auf der Nordhalbkugel) und als negativ, wenn die Drehung im Uhrzeigersinn (antizyklonal auf der Nordhalbkugel) ist. Die Vortizität nimmt proportional zur Winkelgeschwindigkeit zu.

Aber die Erde ist kein Karussell, also keine Scheibe, sondern eine Kugel und das ändert alles. Wenn Sie sich genau am Pol befinden, ist die Rotationsache der Erde identisch zur vertikalen Achse ihres Körpers. Wenn Sie sich nun zum Äquator hinbewegen, entfernt sich Ihre Körperachse allmählich von der Rotationsachse der Erde. Am Äquator stehen die Achsen schliesslich senkrecht zueinander und die Vortizität ist gleich null. Je weiter Sie sich also vom Pol entfernen, desto schneller drehen sie sich um die Rotationsache, aber desto weniger schnell drehen Sie sich um sich selbst. Und wie ist das mit den Luftmassen? Es ist genau das Gleiche…!

Der Zusammenhang zwischen Vortizität und Breitengrad ist in der Physik durch die folgende mathematische Formel gegeben:

Vortizität = 2ΩsinΦ (Ω Winkelgeschwindigkeit der Erde, Φ=Breitengrad).

Da 2Ω konstant ist, ist die Vortizität nur vom Breitengrad abhängig. Diese Formel wird auch als « Coriolis Parameter » bezeichnet.

Aus der obigen Darstellung, lassen sich zwei Elemente ableiten, welche in der Meteorologie sehr wichtig sind.

1. In Polnähe (circa bis 20°) ist die Vortizität am grössten und ändert sich nur wenig, da die Erde in dieser Region scheibenähnlich ist (lilafarbene Fläche in der Darstellung oben). Der Drehimpuls der Luftmassen ist dagegen sehr gering, da sie sich nahe der Rotationsachse befinden.

2. In Äquatornähe ist die Vortizität gleich Null oder nahe Null. Der Drehimpuls der Luftmassen ist gross, da sie weit von der Rotationsachse der Erde entfernt sind (orange Fläche).

Diese Überlegungen sind von grösster Bedeutung, wenn sich Luftmassen zwischen dem Äquator und den Polen hin und her bewegen.

Absolute Vortizität, relative Vortizität und planetare Vortizität

Wenn sich zwei oder mehre Objekte relativ zueinander bewegen, muss für die Beschreibung der Bewegung zunächst der Bezugsrahmen der beobachtenden Person festgelegt werden. Befindet sich die Person ausserhalb der sich bewegenden Objekte, wird der Standpunkt als «absolut» bezeichnet. Ist die beobachtende Person jedoch mit einem der Objekte verbunden, wird der Standpunkt als «relativ» bezeichnet. Wenn Sie beispielsweise auf der Autobahn mit 100 km/h von West nach Ost fahren und ein Westwind mit 40 km/h weht (Wind aus Westen), ist es relativ zu ihnen ein Ostwind mit 60 km/h.

Angenommen, Sie machen an einem schönen windstillen Tag Urlaub im Mount Kenia Nationalpark, welcher genau am Äquator liegt. Aus ihrer Sicht ist die Geschwindigkeit des Luftteilchens um sie herum gleich null. Aber dieses Luftteilchen, welches durch die Schwerkraft an die Erde gebunden ist, ist mit einer Geschwindigkeit von 1674 km/h unterwegs. Ebenso würden Sie einer völlig unbeweglichen Luftmasse am Pol keine Wirbelhaftigkeit (oder Vortizität) zuordnen, obwohl sich die Luftmasse in 24 Stunden einmal um die Achse gedreht hat. Die Vortizität, welche vollständig mit der Erdrotation verbunden ist, wird als «planetarisch» bezeichnet.

Die relative Vortizität bezieht sich auf die Wirbelgrösse relativ zur Erddrehung. Demnach befindet sich die beobachtende Person auf der Erde. Es gibt zwei Arten von relativen Vortizität:

1. In Verbindung mit der Krümmung der atmosphärischen Strömungen zyklonale (positive) Vortizität und antizyklonale (negative) Vortizität.

2. Im Zusammenhang mit der Geschwindigkeit von atmosphärischen Strömungen. Ein Geschwindigkeitsunterschied innerhalb eines Stroms führt zu Wirbelbewegungen, wie folgende Abbildung zeigt. Beim nächsten Spaziergang an einem Bach, halten Sie ein Stück Holz ins Wasser und Sie werden sehen, dass es sich schnell um sich selbst zu drehen beginnt.

Die Summe aus planetarer (Vp) und relativer (Vr) Vortizität ergibt die absolute Vortizität (Va).

Die absolute Vortizität ist die Gesamtheit der Wirbelbewegungen, wie sie von einer beobachtenden Person im Weltraum wahrgenommen würde. Wie der Drehimpuls ist auch die absolute Vortizität einer Luftmasse unveränderlich, sie bleibt also erhalten, sofern kein externer Einfluss vorliegt.

Im dritten Teil dieser Blogserie werden wir darauf eingehen, dass die allgemeine Zirkulation der Atmosphäre grösstenteils durch die Erhaltung der absoluten Vortizität bestimmt wird.

Auf Youtube finden Sie ein interessantes Experiment, dass die Vortizität in einer Flüssigkeit veranschaulicht (in Englisch).

Hinweis: Dieser Blog wurde ursprünglich auf Französisch publiziert.