Oliver Fuhrer ist als Leiter der Abteilung Numerische Vorhersage zuständig für die Entwicklung und den Betrieb des neuen Wetter- und Klimamodells ICON bei MeteoSchweiz. Er bricht die Umstellung vom Vorgängermodell COSMO zum neuen Modell auf eine einfache Rechnung hinunter: «Bisher hatten wir eine halbe Million Zeilen Software in Betrieb. Jetzt arbeiten wir mit zwei Millionen Zeilen einer neuen Software.» Die Umstellung habe von seinem Team einen grossen Know-How-Aufbau erfordert. «Wir kannten COSMO wie unsere Westentasche, jetzt mussten wir ein neues System kennenlernen und anpassen, um unsere massgeschneiderten Produkte auszuliefern», erklärt Fuhrer am Hauptsitz von MeteoSchweiz am Flughafen Kloten.
Nach einer Testphase laufen das Vorgängermodell COSMO und ICON über zwei Monate hinweg parallel mit voller Rechenleistung. In dieser Zeit müssen alle Dienstleistungen, die MeteoSchweiz anbietet, auf das neue Modell übertragen werden. Nun wird COSMO bald eingestellt. «Diesen alten Zopf abzuschneiden, wird für uns eine grosse Erleichterung sein», sagt Fuhrer.
Ein besseres Modell für die Schweizer Topographie
Fuhrer streicht die neuen Möglichkeiten des Modells heraus: Während das Vorgängermodell COSMO die Messdaten aufgrund eines rechteckigen Rechengitters hochrechnete, arbeitet ICON mit einem Dreiecksgitter, das die Topografie der Schweiz besser erfassen kann. «Das erlaubt uns, Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Wind an der Erdoberfläche genauer zu modellieren, was die Prognosen verbessern kann», so Fuhrer. Zudem könnten dank dem sogenannten Nesting künftig bestimmte Gebiete gezielt mit höherer Auflösung gerechnet werden, etwa ein Gebiet über den Alpen oder in einem Bergtal oder am Flughafen.
Eine für Fuhrer wichtige Neuerung ist auch, dass sowohl der Code als auch die Daten des ICON-Modells Open Source und damit öffentlich zugänglich sind. Damit ändert sich auch die Rolle von Fuhrers Team. Während MeteoSchweiz bis anhin Daten und Dienstleistungen anbot, wird mit ICON auch die Methode mitgeliefert. «Wir könnten in Zukunft vermehrt Beratungsdienstleistungen anbieten für Kundinnen und Kunden, die das Modell oder Modelldaten selbst einsetzen», erklärt Fuhrer. «Damit werden wir künftig einen grösseren Nutzen stiften können», ist Fuhrer überzeugt.
Mit der Einführung von ICON beginnt die Reise mit dem neuen Modell gemäss Fuhrer erst richtig. Denn das in einer internationalen Zusammenarbeit entwickelte und von Wetterdiensten in verschiedenen europäischen Ländern genutzte Klima- und Wettermodell wird laufend weiterentwickelt, auch in Bereichen, die für die Schweiz wichtiger sind als für andere Länder. Als Beispiel nennt Fuhrer eine Entwicklung des Systems, das die Modellierung und Vorhersage der Schneedecke verbessern soll. Für die Schweiz ist dies eine wichtige Grösse, weil die Frage, ob an einer Stelle aktuell Schnee liegt oder nicht, Auswirkungen auf weitere Grössen wie die Sonneneinstrahlung und Temperatur hat.
Mit dem Umstieg auf das ICON Modell verändert sich auch die Partnerlandschaft der Entwickler. Während MeteoSchweiz im Rahmen des COSMO-Konsortiums primär mit der ETH sowie mit nationalen Wetterdiensten zusammenarbeitete, erweitert sich mit ICON die Zusammenarbeit um weitere Forschungsinstitutionen wie dem Max-Planck-Institut für Meteorologie oder dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT). «Während Wetterdienste stabilen Betrieb und zuverlässige Prognosen priorisieren, streben Forschungsinstitutionen nach innovativen und experimentellen Lösungen», erläutert Fuhrer. «Dies schafft einen interessanten und kreativen Entwicklungsprozess, der derzeit in vollem Gange ist.»
Die Grenzen des neuen Modells kennenlernen
Ortswechsel in die Wetterzentrale Genf, wo die Wetterprognosen für die Romandie erstellt werden. In den drei Wetterzentralen von MeteoSchweiz arbeiten die Meteorologinnen und Meteorologen rund um die Uhr, mit klar getakteten Aufgaben. Ob für ein Flugwetterdienstleistung für den Flughafen oder die Formulierung der Wetterprognose für die App: Immer geht es darum, aufgrund des Outputs der Modellrechnungen Entscheidungen zu treffen. Adrien Michel, der an diesem Morgen als Meteorologe arbeitet, zeigt seinen Bildschirm, auf dem elf verschiedene Szenarien für den erwarteten Niederschlag über der Schweiz erscheinen. Die elf vom Modell errechnete Zukunftsszenarien unterscheiden sich stark. Ein Teil deutet auf Regen hin, der andere zeigt einen vorwiegend trockenen Tag. Wird es nun regnen oder nicht? «Unsere Aufgabe ist es, diese Unsicherheit in etwas Verständliches zu übersetzen», sagt Michel.