Verkomplizierte Mittelfristprognose
Eine Wettervorhersage für die Mittelfrist, also für einen Zeitraum von etwa 4 bis 10 Tagen, ist von Natur aus mit grösseren Unsicherheiten behaftet als eine Prognose für die Kurzfrist. Findet nun über dem Nordatlantik, dem Gebiet, aus dem unser Wetter typischerweise kommt, eine extratropische Umwandlung statt, wird die Wettervorhersage zusätzlich verkompliziert. Warum ist das so?
- Unsicherheiten bei der Zugbahn von tropischen Wirbelstürmen: Je nachdem, wann und wo genau ein ehemaliger tropischer Wirbelsturm in die Westwindzone der mittleren Breiten integriert wird, kann sich die weitere Tiefdruckentwicklung verstärken oder abschwächen. Ausserdem ist die Assimilation eines tropischen Wirbelsturms in ein Wettermodell nicht ganz trivial. Diese Unsicherheit besteht auch bei der Ensembleprognose der Sturmzugbahn von „Erin” (siehe oben).
- Massiver Eintrag von latenter Wärme innerhalb des Sturms: Vor allem in der Anfangsphase extratropischer Umwandlungen wird durch Hebungs- und Konvektionsprozesse in der mitgeführten, energiereichen und feuchtwarmen Luftmasse eine grosse Menge von latenter Wärme freigesetzt. Im weiteren Verlauf bezieht das Tiefdruckgebiet seine Energie zunehmend von baroklinen Prozessen, also von den horizontalen Temperaturunterschieden in den mittleren Breiten. Besonders ersterer Prozess ist hochkomplex und kann in den Prognosemodellen nur näherungsweise abgebildet werden.
- In der Westwindzone der mittleren Breiten mäandriert der Polarfront-Jetstream in Rossby-Wellen um die Erde. Je nachdem, wann, wo und in welchem Umfang latente Wärme in einem Sturm freigesetzt wird, können sich stromabwärts Höhenrücken amplifizieren und die dazugehörigen Hochdruckgebiete markant verstärken.
- Gelangt ein ehemaliger Hurrikan auf die Vorderseite eines mäandrierenden Polarjets oder Höhentroges, kann sich das ehemalige tropische System zu einem aussertropischen oder hybridartigen Sturm- bzw. Orkantief reintensivieren. Alternativ kann es die Entwicklung von markanten Sekundärtiefs begünstigen.
- Durch den Eintrag von Wärme- und Bewegungsenergie können sich stromabwärts und teilweise viel weiter östlich der ursprünglichen Transformation Rossby-Wellen verstärken, abschwächen oder brechen. Dies kann auch über Europa zu blockierenden Wetterlagen führen.
Deutlich wird: Die Umwandlung tropischer Wirbelstürme in aussertropische Tiefdruckgebiete wirkt wie ein „Chaos-Multiplikator” in der ohnehin schon komplexen Wettervorhersage. Bereits geringe Änderungen im Anfangszustand oder in der Entwicklung können grosse Auswirkungen auf die zukünftige Wetterentwicklung haben (siehe auch Schmetterlingseffekt).