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Hurrikan „Erin” verunsichert die Wettervorhersage
MeteoSchweiz-Blog | 17. August 2025

Über der Karibik hat sich Hurrikan „Erin” rasant zu einem kräftigen tropischen Wirbelsturm entwickelt. Laut Prognosen zieht er nördlich an den karibischen Inseln vorbei, dreht dann vor der Ostküste der USA ab und vollzieht auf seinem Weg nach Europa über dem Nordatlantik eine Umwandlung zu einem aussertropischen Tiefdruckgebiet. Das macht die mittelfristige Wettervorhersage für die letzte Augustwoche bei uns ziemlich unsicher.

Hurrikan „Erin” über der Karibik. Quelle: NOAA
Hurrikan „Erin” über der Karibik. Quelle: NOAA
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Extratropische Umwandlung

Über dem subtropischen Atlantik herrscht aktuell wieder Hurrikansaison. So entwickelte sich gestern über der Karibik der Hurrikan „Erin” aussergewöhnlich schnell zu einem tropischen Wirbelsturm der höchsten Kategorie 5. Mittlerweile zieht er als Hurrikan der Kategorie 4 nördlich an den karibischen Inseln vorbei und wird laut Prognosen vor der Ostküste der USA in Richtung Nordatlantik abdrehen. Dort soll er sich im Laufe der kommenden Woche von einem tropischen Wirbelsturm zu einem aussertropischen Tiefdruckgebiet umwandeln. Diese Umwandlung tropischer Wirbelstürme in aussertropische Tiefdruckgebiete stellt die Wettervorhersage immer wieder vor gewisse Herausforderungen, da viele unterschiedliche meteorologische Prozesse zur grossräumigen Wetterentwicklung beitragen. Wie eine solche Transformation vonstattengeht, haben wir bereits in früheren Blogs hier oder hier näher erläutert.

AIFS-Ensemblevorhersage der Sturmzugbahn von „Erin” in den nächsten zehn Tagen. Quelle: ECMWF
AIFS-Ensemblevorhersage der Sturmzugbahn von „Erin” in den nächsten zehn Tagen. Quelle: ECMWF

Verkomplizierte Mittelfristprognose

Eine Wettervorhersage für die Mittelfrist, also für einen Zeitraum von etwa 4 bis 10 Tagen, ist von Natur aus mit grösseren Unsicherheiten behaftet als eine Prognose für die Kurzfrist. Findet nun über dem Nordatlantik, dem Gebiet, aus dem unser Wetter typischerweise kommt, eine extratropische Umwandlung statt, wird die Wettervorhersage zusätzlich verkompliziert. Warum ist das so?

  • Unsicherheiten bei der Zugbahn von tropischen Wirbelstürmen: Je nachdem, wann und wo genau ein ehemaliger tropischer Wirbelsturm in die Westwindzone der mittleren Breiten integriert wird, kann sich die weitere Tiefdruckentwicklung verstärken oder abschwächen. Ausserdem ist die Assimilation eines tropischen Wirbelsturms in ein Wettermodell nicht ganz trivial. Diese Unsicherheit besteht auch bei der Ensembleprognose der Sturmzugbahn von „Erin” (siehe oben).
  • Massiver Eintrag von latenter Wärme innerhalb des Sturms: Vor allem in der Anfangsphase extratropischer Umwandlungen wird durch Hebungs- und Konvektionsprozesse in der mitgeführten, energiereichen und feuchtwarmen Luftmasse eine grosse Menge von latenter Wärme freigesetzt. Im weiteren Verlauf bezieht das Tiefdruckgebiet seine Energie zunehmend von baroklinen Prozessen, also von den horizontalen Temperaturunterschieden in den mittleren Breiten. Besonders ersterer Prozess ist hochkomplex und kann in den Prognosemodellen nur näherungsweise abgebildet werden.
  • In der Westwindzone der mittleren Breiten mäandriert der Polarfront-Jetstream in Rossby-Wellen um die Erde. Je nachdem, wann, wo und in welchem Umfang latente Wärme in einem Sturm freigesetzt wird, können sich stromabwärts Höhenrücken amplifizieren und die dazugehörigen Hochdruckgebiete markant verstärken.
  • Gelangt ein ehemaliger Hurrikan auf die Vorderseite eines mäandrierenden Polarjets oder Höhentroges, kann sich das ehemalige tropische System zu einem aussertropischen oder hybridartigen Sturm- bzw. Orkantief reintensivieren. Alternativ kann es die Entwicklung von markanten Sekundärtiefs begünstigen.
  • Durch den Eintrag von Wärme- und Bewegungsenergie können sich stromabwärts und teilweise viel weiter östlich der ursprünglichen Transformation Rossby-Wellen verstärken, abschwächen oder brechen. Dies kann auch über Europa zu blockierenden Wetterlagen führen.

Deutlich wird: Die Umwandlung tropischer Wirbelstürme in aussertropische Tiefdruckgebiete wirkt wie ein „Chaos-Multiplikator” in der ohnehin schon komplexen Wettervorhersage. Bereits geringe Änderungen im Anfangszustand oder in der Entwicklung können grosse Auswirkungen auf die zukünftige Wetterentwicklung haben (siehe auch Schmetterlingseffekt).

IFS-Prognose des Bodendrucks und der äquivalentpotentiellen Temperatur in ca. 1500 Meter Höhe. Orange-rote Farbtöne zeigen feuchtwarme Luftmassen tropischen Ursprungs. Quelle: MeteoSchweiz
IFS-Prognose des Bodendrucks und der äquivalentpotentiellen Temperatur in ca. 1500 Meter Höhe. Orange-rote Farbtöne zeigen feuchtwarme Luftmassen tropischen Ursprungs. Quelle: MeteoSchweiz

Kurzfrist ziemlich sicher, Mittelfrist mit Fragezeichen

In den Blogs der letzten Tage haben wir es bereits angedeutet. Nach einem oft sonnigen und sommerlichen Wochenbeginn zeichnet sich in der zweiten Wochenhälfte ein unbeständiger und kühlerer Wetterabschnitt ab. Die Prognose ist ziemlich sicher, die Ensembleprognose der Temperatur zeigt kaum Streuung, alle Modelllösungen liegen nah beieinander. Einzig die genaue Niederschlagsmenge ist noch unsicher, verbreitet nass wird es aber auf jeden Fall.

IFS-Ensembleprognose der Luftmassentemperatur in ca. 1500 Meter Höhe (oben) und des Niederschlags (unten) für Luzern. Quelle: ECMWF
IFS-Ensembleprognose der Luftmassentemperatur in ca. 1500 Meter Höhe (oben) und des Niederschlags (unten) für Luzern. Quelle: ECMWF

Ab dem Wochenende und vor allem im Laufe der letzten Augustwoche zeigt sich ein anderes Bild. Hier gehen die einzelnen Prognosen deutlich auseinander. Von unterkühltem Wetter bis zu einem Revival des Hochsommers scheint alles möglich, wobei die Mehrheit der Modelllösungen eine Erwärmung favorisiert. Im Schlepptau des ehemaligen Hurrikans „Erin” würde subtropische Warmluft in den Alpenraum geführt werden. Doch die Prognose steht auf wackligen Beinen. Die Unsicherheiten sind gross, nicht zuletzt aufgrund der oben genannten Faktoren.

Am Sonntag schien am Lac de Moiry in den Walliser Alpen überwiegend die Sonne. Zuletzt setzte sie sich zumindest zeitweise auch in den östlichen Landesteilen durch. Bild: Meteo Meldungen, MeteoSwiss App
Am Sonntag schien am Lac de Moiry in den Walliser Alpen überwiegend die Sonne. Zuletzt setzte sie sich zumindest zeitweise auch in den östlichen Landesteilen durch. Bild: Meteo Meldungen, MeteoSwiss App